Erzähler aus dem Jenseits
Um den Schluss der Geschichte gleich vorwegzunehmen - Ulrich Plenzdorf tut es auch in seinem Buch: der junge Edgar Wibeau kommt bei einem tragischen Unfall, einer Stromsache, ums Leben. Daraus ergibt sich denn auch die Erzählstruktur des Buches. Edgar erscheint sozusagen als Geist, kommentiert, ergänzt und berichtigt aus dem Jenseits die Aussagen diverser ihm nahestehender Personen, die sich über ihn unterhalten und erhält so die Rolle des Erzählers, der sich direkt an den Leser wendet. Ein herrliches Schauspiel, in dem sich Dialoge dieser Personen mit Edgars Monologen abwechseln, wobei letztere natürlich meist die Sachlage korrigieren oder konkretisieren und auf witzige und saloppe Art und Weise Edgars Charakter hervorbringen. Eigentlich ist es Edgars Vater, der sich durch den Austausch mit anderen Personen erhofft, etwas mehr von seinem Sohn zu erfahren, den er zwölf Jahre lang nicht mehr gesehen und der nun das Zeitliche gesegnet hat.
Edgars Charlie und Goethes Charlotte
Nachdem Ed, wie ihn alle nennen, seine Berufslehre schmeisst, verlässt er sein Zuhause in Mittenberg und zieht nach Berlin, wo er unangemeldet eine zum Abriss stehende Laube seines Freundes Willi bezieht und dort vor sich hin gammelt. Auf dem Klo findet er das grüne Heft 'Die Leiden des jungen Werther', dessen Umschlag und Nachwort er als Klopapier missbraucht und den Roman innert drei Stunden durchliest. Über Tonbänder, die hin- und hergeschickt werden, kommuniziert er mit seinem zuhause gebliebenen Freund Willi und zitiert dabei ausschliesslich den jungen Werther, was die Daheimgebliebenen ziemlich verwirrt, da niemand versteht, was Edgar eigentlich mitteilen will. Denn dieser weiss nicht mehr, was mit ihm geschieht. Nämlich dasselbe wie dem jungen Werther, die Bekanntschaft mit einer Frau, eine unerfüllte Liebe letztlich, da sie sich einem anderen Mann versprochen hat. Edgar nennt sie Charlie, weil die Frau in Goethes Werk Charlotte heisst.