Rezension vom September 2024

Frühstück bei Tiffany
Truman Capote

Roman
Originaltitel: Breakfast at Tiffany's
Erste Buchausgabe 1958
Gelesene Ausgabe: Kein & Aber
Neuausgabe 2006

119 Seiten



Capotes hundertster Geburtstag
Es soll Zufälle geben, die keine Zufälle sind, wenn wir davon ausgehen, dass wir trotz Unkenntnis derselben von globalen Strömungen beeinflusst werden. So war mir nicht bewusst, dass Truman Capote dieses Jahr seinen hundertsten Geburtstag feiern würde und zu diesem Anlass der Kein & Aber Verlag sein gesamtes journalistisches Werk in drei Einzelbänden neu aufgelegt hat, und dass Anuschka Roshani, die Herausgeberin seines Gesamtwerks im Kein & Aber Verlag, sogar ein eigenes Buch über Capote mit dem Titel Truboy veröffentlicht hat. Das alles wusste ich nicht, als ich mich diese Tage dazu entschied, Truman Capotes Roman ‘Frühstück bei Tiffany’ zu lesen, nachdem ich letztes Jahr sein Erstlingswerk Sommerdiebe besprochen hatte. Zufall? Vielleicht sind unsere eigenen Gedanken nicht immer unsere eigenen Gedanken.


Grosse sprachliche Bandbreite
Vielleicht fällt diese Buchbesprechung für einmal etwas kürzer aus, da ich auf den Autor nicht mehr sonderlich eingehen muss mit der Verweisung auf meine Rezension über Sommerdiebe. Ob Truman Capotes ‘Frühstück bei Tiffany’ denselben Erfolg erzielt hätte, wenn Capote nicht schon bekannt gewesen und bereits als Fünfzehnjähriger in den literarischen Himmel hochgelobt worden wäre, wage ich zu bezweifeln. Das ist meine persönliche Einschätzung. Stilistisch fällt das Buch doch hinter seinen Erstlingsroman ‘Sommerdiebe’ zurück. Zehn Jahre liegen zwischen den beiden Werken, zehn Jahre, in denen Capote einige andere Werke schrieb. Obwohl ich mittlerweile weiss, dass er über eine grosse sprachliche Bandbreite verfügte und diese in einigen Kurzgeschichten unter Beweis stellte, finde ich, dass die Sätze in ‘Frühstück bei Tiffany’ für einen Ästheten und Neurotiker wie Capote doch ziemlich gewöhnlich klingen.

Es war ein warmer Abend, beinahe Sommer, und sie trug ein enges, schlichtes schwarzes Kleid, schwarze Sandaletten und eine breite Perlenkette, die ihren Hals wie ein Reif umschloss. Bei all ihrer schicken Magerkeit strahlte sie eine Haferflocken-Gesundheit aus, eine Seifen- und Zitronen-Reinlichkeit, und auf ihren Wangen lag eine raue Röte. Sie hatte einen grossen Mund und eine Stupsnase. Eine Sonnenbrille verbarg ihre Augen. 
(S. 15)
Leichtfüssige Erzählweise
Allerdings würde mir nie in den Sinn kommen, Capotes Sprachstil zu kritisieren, im Gegenteil. Er kann den Leser an seine Bücher fesseln. Ich stelle bei diesem Werk nur fest, dass ich diese Virtuosität, diese vielleicht etwas flötenden und hübsch klingenden Satzkonstruktionen aus Sommerdiebe hier vergeblich erwartet habe und stattdessen auf eine Leichtfüssigkeit stosse, auf eine Erzählweise, die Capote vermutlich genau dieser Geschichte zugeschrieben hat, angereichert mit der Alltagssprache der Protagonistin Holly Golightly, einer gerade erst aus dem Teenie-Alter herausgewachsenen Lebedame.
Einen Ort wie Tiffany
Was inhaltlich gleichgeblieben ist, sind Zeitepoche und Schauplatz der Geschichte – ein New York in den 40er-Jahren. Und wieder spielt eine Frau, die sich irgendwo zwischen Kindsein und Erwachsenwerden befindet, die Hauptrolle, hier ein paar Jahre älter als Grady in Sommerdiebe. Sie hat sich auch schon in der feinen Gesellschaft etabliert, könnte man sagen, wenn Holly Golightly mehr Selbstvertrauen besässe, obwohl sie in ihrem Umfeld sehr willensstark auftritt, und wüsste, was sie ihr Zuhause nennen und wo sie Wurzeln schlagen könnte. Denn erst, wenn sie einen Ort wie die Schmuck-Boutique Tiffany gefunden hat, wo sie und das ganze Drumherum zusammengehören, will sie die Pappkartons in ihrer Wohnung gegen Möbel austauschen und ihrer Katze einen Namen geben.

"Damit hab ich's probiert. Ich hab's auch mit Aspirin probiert. Rusty meint, ich soll Marihuana rauchen, und das hab ich eine Weile lang getan, aber davon muss ich nur kichern. Ich hab herausgefunden, das Beste ist, in ein Taxi steigen und zu Tiffany fahren. Das beruhigt mich sofort, da ist es so still, und alles sieht so vornehm aus; dort kann einem nichts Schlimmes zustossen, nicht bei diesen freundlichen Herren in ihren schönen Anzügen und diesem wunderbaren Geruch nach Silber und Krokodilleder-brieftaschen."  (S. 45)
Die Erinnerung an Holly Golightly

In der Wohnung über ihr wohnt der Ich-Erzähler dieser Geschichte, ein noch unbekannter Schriftsteller, der sich an die ersten Begegnungen und wenigen Monate mit Holly Golightly nun zurückerinnert. Ausschlag dafür ist ein Anruf des Barbesitzers Joe Bell, der ihm eine Fotografie einer afrikanischen Holzkopfschnitzerei mit Hollys unverkennbarem Profil zeigt. Holly scheint also irgendwo in Afrika gestrandet zu sein, nachdem sie sich aus New York und dem Leben des Ich-Erzählers verabschiedet hat, und so beginnt für ihn die gedankliche Reise in die Vergangenheit, die er jetzt, wieder zurück in seiner alten Wohnung in dem roten Backsteinhaus, niederschreibt und dem Leser präsentiert.

Ein echter falscher Fünfziger
Holly ist hübsch und begehrt. Ein junges Filmsternchen aus Hollywood, das erst Filmstar werden soll, stets in den Schlagzeilen der Newspapers, weil sie wieder mit einem anderen reichen Dandy zusammen ist. Auf ihrer Karte steht Miss Holiday Golightly – auf Reisen. Ihr Agent O. J. Berman, der sich darüber mokiert, dass Holly nun in New York abgestiegen ist, wo sie doch in Hollywood zu einem Dreh erscheinen soll, ist ihr zwar am nächsten und besitzt eine gewisse Beschützerfunktion, ist aber auch derjenige, der sie ‘entdeckt’ hat, als sie noch minderjährig war. Berman mag sie, man müsse sensibel sein, um sie zu mögen, sagt er, und spricht nicht in den höchsten Tönen von ihr. Eine gottverdammte Lügnerin sei sie, und meschugge, ein 'echter' falscher Fünfziger. Aber jung, und mit sehr viel Jugend vor sich. Zahlreiche Seelenklempner habe sie schon aufgesucht, doch selbst der berühmte Deutsche habe das Handtuch geworfen.


Ein anderes Universum
Hollys Lebenswandel und Naivität – jeden Donnerstag besucht sie, um sich etwas Geld zu verdienen, den alten Mafia-Verbrecher Sally im Gefängnis Sing Sing – wird am Ende des Tages auch zu ihrem Verhängnis. Sie wird verhaftet, soll auf Kaution, dir ihr Agent Berman organisiert, wieder freikommen, erleidet aufgrund dieser Begebenheiten eine Fehlgeburt, und muss ihr ursprüngliches Vorhaben, sich mit José, einem südamerikanischen Diplomaten, der erst Liebhaber ihrer Mitbwohnerin Mag war, in Brasilien zu verheiraten, an den Nagel hängen, denn als Politiker in Washington kann José sich keinen schlechten Namen leisten. Die Beziehung Hollys zum Ich-Erzähler, Holly nennt ihn einfach nach ihrem Bruder Fred (den richtigen Namen erfahren wir nicht), bleibt eine ehrliche und freundschaftliche, für mehr als eine platonische Verbindung reicht es nicht, da ihr Nachbar nicht in ihr Beuteschema passt. Holly lebt in einem anderen Universum.

Er nahm einen Telefonhörer aus der Luft und hielt ihn ans Ohr. "Sie sagt, hier ist Holly, ich sage, Schatz, du klingst so weit weg, sie sagt, ich bin in New York, ich sage, was zum Teufel machst du in New York, wo Sonntag ist und du morgen die Probeaufnahmen hast? Sie sagt, ich bin in New York, weil ich noch nie in New York war. Ich sage, setz dich ins nächste Flugzeug und komm zurück, sie sagt, ich will das nicht." Ich sage, was denkst du dir dabei, Puppe?" (S. 36)
Bescheidenheit des Ich-Erzählers
Obwohl uns der Ich-Erzähler auf knapp 120 Seiten seine Erlebnisse und Erfahrungen mit der jungen Dame näherbringt, bleibt seine Figur doch blass, ohne Ecken und Kanten. Natürlich hat er sich in Holly verliebt, obgleich Stellen im Buch vermuten lassen, dass er schwul sein könnte. Er versucht sich als Schriftsteller, lehnt Hollys Vorschlag, sich Bermans Beziehungen zunutze zu machen, jedoch ab. Deshalb, und aufgrund seines zurückhaltenden Wesens, kann man ihm doch Bescheidenheit nachsagen. Umso mehr bordet Hollys Charakter über und versinnbildlicht die typische Luftibusdame, die weiss, wie sie ihren Verehrern, die stets um einiges älter sind, Geld aus der Tasche ziehen und am langen Arm verhungern lassen kann. Sie weiss, wie man eine gute Party feiert. Und sie weiss, dass sie an einem Ort wie Tiffany ihrer unbestimmten Angst vor der Welt, sie nennt es rotes Elend, Herr werden kann.


Die Luft der High Society
So steht und fällt das Buch mit Holly Golightlys Person. ‘Frühstück bei Tiffany’ könnte eine Charakterzeichnung sein, eine Milieustudie, eine Satire über eine junge, ungefestigte, eigentlich noch in den Kinderschuhen steckende Person, die viel zu früh in die Gesellschaft der oberen Zehntausend Amerikas hineingerät. Der Leser kann indirekt über die Begegnung mit Holly die Luft der High Society schnuppern, ein Thema, mit dem Capote erst später mit seinem Roman 'Erhörte Gebete' gnadenlos abrechnen soll. Drogen, Alkohol, Partystimmung, Intrigen und Oberflächlichkeit. Eine Welt, die auch dem Autor nicht fremd ist. Holly gibt sich in dieser Welt sehr selbstbewusst, sie weiss, wo sich ihre Grenzen befinden, wen und was sie will oder eben nicht, doch irgendwo ist sie Kind geblieben.

Unter der Anleitung eines Puderdosenspiegels malte und puderte sie jede Spur der Zwölfjährigen aus ihrem Gesicht fort. Sie formte ihre Lippen aus einer Tube und färbte ihre Wangen aus einer anderen. Sie fuhr mit einem Stift um ihre Augenränder, tat sich Blau auf die Lider und besprühte ihren Hals mit 4711; steckte sich Perlen an die Ohren und setzte ihre Sonnenbrille auf; derart gewappnet, und nach einem zufriedenen Blick auf den mangelhaften Zustand ihrer Maniküre, riss sie den Brief auf und überflog ihn, wobei ihr steinernes kleines Lächeln noch kleiner und härter wurde. (S. 106)
Film und Buchvorlage
1961 wurde die Geschichte mit Audrey Hepburn und Mickey Rooney unter dem gleichnamigen Titel verfilmt. Im Gegensatz zur Romanvorlage von Truman Capote endet der Film mit einem Happy-End, worüber sich der Autor später ärgerte. Die Produktion eines Broadway-Musicals in den späten 1960er-Jahren musste nach vier Voraufführungen abgebrochen werden. 'Breakfast at Tiffany's gilt heute als einer der legendärsten Flops der Theatergeschichte. Umso mehr kann ich das Buch empfehlen.
Das Buch ist heute wie erwähnt im Kein & Aber Verlag erhältlich, als Hardcover, Taschenbuch, eBook und Audio-CD. Auf der Seite Literaturzeitschrift.de habe ich eine ausführliche Rezension von Bories vom Berg über das Buch entdeckt, die zu lesen es wert ist.

Schreibe einen Kommentar